Das Interview mit Spiegel online 2006 und die Bedeutung des Jahres 2031

Spiegel Online-Interview mit EKD Vizebischof Christoph Kähler

Debatte um den „Da Vinci Code“

„Jesus war keineswegs angepasst“

 

TEXT- UND LESEMARKEN:

War Jesus verheiratet?

Extrem unwahrscheinlich

Der Rabbiner Jesus

Religiöse Prägung durch Johannes den Täufer

Jesus der Außenseiter

Ehe mit Maria Magdalena und Kinder?

Reine Fiktion Browns

Phillipus: Der Kuss auf den Mund

Kein Hinweis auf eine Ehe, für Gnostiker interessant

Familie als christlichen Grundstein – Widerspruch zum Single Jesus?

Jesus – eine Person voller Widersprüche?

In der dialektischen Betrachtungsweise war beides vorhanden: Bande aufgeben durch Nachfolge oder Treue zur Familie – jeder entscheidet selbst

Muss Jesus als Mensch und nicht als Gottessohn, was er ja beides war nicht doch auch eine Partnerin gehabt haben?

Jesus war ungeheuer kontaktstark – das Bekenntnis zu ihm hängt nicht von einer Ehe oder Nichtehe ab – eine Nachkommenschaft ist unbewiesen und auch nicht von so großer Bedeutung, was seine Nachfolge betrifft

Welche Bedeutung hat Jesus für den Glauben

Die Gottesbilder der Antike wurden zu Fall gebracht, nämlich dadurch dass ein Gott sterblich sein kann, die Auferstehung aber der Sieg über den Tod war, das war eine ungeheurere Provokation

Sehen Sie die Auferstehung als historisches Datum?

Die Auferstehung in einer ganz anderen seelischen Existenzweise

Lässt sich die Geschichte Jesu überhaupt rekonstruieren?

Von Jesus weiß die Geschichte mehr als von jedem anderen Religionsstifter zu berichten, obschon seine Herkunft keine gute PR gewesen war, lässt sich historisch beweisen, dass er hohe Ansprüche gestellt hat

Welche Ansprüche?

Er hat Dinge getan, die eigentlich nur Gott zustehen

Ein Übersetzungsfehler „Jungfrau“ und junge Frau finden schwer Eingang in die Lehre der Kirche?

Dies wird oft kontrovers diskutiert. Es geht nicht um biologische Vorgänge, sondern um theologische. Sie soll ein Hinweis auf die Weltbedeutung Jesu sein

Die Volksfrömmigkeit sieht dies anders, oder?

Bei der jungfräulichen Geburt geht es nicht nur um Biologie

Browns Erfolg fußt nicht zuletzt darauf, dass die Kirche gerade nicht redlich sei

Brown hat ein Elixier gemischt von Sex, Crime und Verschwörungstheorie

Warum gelingt es der Kirche nicht in ähnlich erfolgreicher Manier zur Diskussion zu bringen wie Brown in seinen Werken?

Wir zielen nicht auf den kurzzeitigen Erfolg ab wie Brown. In 25 Jahren wird sich keiner mehr an ihn in dieser Weise erinnern (Bemerkung der Redaktion von kreativMedia – das wäre dann 2031

Das Interview führte Alexander Schwabe von SPIEGEL ONLINE

© Spiegel Online, Alexander Schwabe, Zwischentitel teilweise km

 

„Jesus war keineswegs angepasst“

 

Im Bestseller „Sakrileg“ behauptet Dan Brown, Jesus sei mit Maria Magdalena verheiratet gewesen und habe mit ihr ein Kind gehabt. Ein Tabubruch für den EKD-Vize Bischof Christoph Kähler. Im Interview mit SPIEGEL ONLINE beschreibt er Brown als ahnungslosen Verschwö-rungstheoretiker.

 

War Jesus verheiratet?

 

SPIEGEL ONLINE: Herr Bischof Kähler, war Jesus verheiratet, wie Dan Brown in seinem Buch „Sakrileg" behauptet?

 

Extrem unwahrscheinlich

 

Kähler: Das ist extrem unwahrscheinlich. Mehr kann ein Historiker nicht sagen. Nach allem, was wir aus den Evangelien wissen, hat Jesus eher familienfern gelebt. Die Berichte verweisen auf einen ganz anderen Lebensentwurf als den mit Frau und Kindern.

 

Der Rabbiner Jesus

 

SPIEGEL ONLINE: Petrus und Judas nennen Jesus „Rabbi“. Rabbiner waren für gewöhnlich verheiratet.

 

Religiöse Prägung durch Johannes den Täufer

 

Kähler: Jesus war mit Sicherheit kein ordinierter Rabbiner im heutigen Sinne. Seine religiöse Prägung erhielt er in der Gruppe um Johannes den Täufer, von dem sich keine Beziehung zum Rabbinat nachweisen lässt. Es stimmt jedoch: Normale Rabbiner und normale Männer hatten im Judentum die Pflicht zu heiraten.

 

Jesus der Außenseiter

 

SPIEGEL ONLINE: Jesus war ein Außenseiter?

 

Kähler: Er war keineswegs angepasst. Und seine ersten Anhänger, die Jünger, zogen mit ihm heimat-, besitz- und ehelos als Wanderprediger umher.

 

Ehe mit Maria Magdalena und Kinder?

 

SPIEGEL ONLINE: Eine der Behauptungen in Browns Buch lautet, Jesus habe mit Maria Magdalena ein Kind gehabt. Was würde es für die Kirche bedeuten, wenn Jesus Vater war?

 

Reine Fiktion Browns

 

Kähler: Wenn das so wäre, müssten wir über das Leben Jesu völlig neu nachdenken. Wie wäre seine Forderung nach einer radikalen Nachfolge, einer radikalen Existenz ohne Besitz, ohne Heimat, ohne Familie dann zu bewerten? Es gibt jedoch überhaupt keine Quellen oder Anhaltspunkte dafür, dass Jesus Vater gewesen ist. Die Angaben, die Brown im Roman und im Film macht, sind reine Fiktion.

 

Phillipus: Der Kuss auf den Mund

 

SPIEGEL ONLINE: Im apokryphen Evangelium des Philippus ist zu lesen: „Und die Gefährtin des Erlösers war Maria Magdalena.“ Er habe sie ab und an auf den Mund geküsst.

 

Kein Hinweis auf eine Ehe, nur für Gnostiker interessant

 

Kähler: Das ist mit Sicherheit kein Hinweis auf eine Ehe oder auf eine gemeinsame Elternschaft. Maria Magdalena gehört zu einem Kreis von Anhängern, den wir nicht vollständig erfassen können. Im Laufe der Kirchengeschichte ist sie dann für Gnostiker interessant geworden, eine Strömung, die das eigentliche Heil darin sah, Sexualität gerade nicht zu leben. Brown bedient sich gnostischer Texte, die eine völlig andere Tendenz haben, als er nahelegen will.

 

Familie als christlichen Grundstein – Widerspruch zum Single Jesus?

 

SPIEGEL ONLINE: Kann der Single Jesus ein Modell für die heutige Gesellschaft sein, welche die Familie als ihren Grundstein sieht?

 

Der dialektische Jesus

 

Kähler: Wir haben im Christentum immer wieder beide Strömungen: Die einen, die radikale Fragen stellen und die persönliche Konsequenzen nicht scheuen, und die anderen, die tragbare Kompromisse suchen. Beides gehört zusammen, so wie in der DDR die Friedensgruppen, die politisch unangenehme Fragen stellten und die christlichen Gemeinden, die ihre Gastgeber waren. Auch bei Jesus gibt es beides: Sprüche, die die Familienbindung radikal in Frage stellen („Lasst die Toten ihre Toten begraben“), und zugleich Sätze darüber, dass die Ehescheidung von einer tiefgreifenden Sünde verursacht wird und von daher eine sehr radikale Anfrage an diejenigen ist, die sich trennen wollen.

 

Jesus – eine Person voller Widersprüche?

 

SPIEGEL ONLINE: Jesus, eine Person voller Widersprüche?

 

In der dialektischen Betrachtungsweise war beides vorhanden: Bande aufgeben durch Nachfolge oder Treue zur Familie – jeder entscheidet selbst

 

Kähler: Es gibt bei ihm eine Dialektik von radikaler Forderung und radikaler Gnadenzusage, die sich nicht in schlichte Rezepte auflösen lässt. Jeder Einzelne muss für sich entscheiden, in welcher Situation für ihn die radikale Forderung, alte Bande aufzugeben, zutrifft, oder die unbedingte Treue zur Familie.

 

Muss Jesus als Mensch und nicht als Gottessohn, was er ja beides war nicht doch auch eine Partnerin gehabt haben?

 

SPIEGEL ONLINE: Eine andere Dialektik besteht darin, dass die Kirche lehrt, Jesus sei wahrer Mensch und wahrer Gott. Muss er als wahrer Mensch nicht zumindest in einer Partnerschaft gelebt haben?

 

Jesus war ungeheuer kontaktstark – das Bekenntnis zu ihm hängt nicht von einer Ehe oder Nichtehe ab – eine Nachkommenschaft ist unbewiesen und auch nicht von so großer Bedeutung, was seine Nachfolge betrifft

 

Kähler: Das Bekenntnis zu Jesus als wahrer Mensch und wahrer Gott hängt nicht an seiner Ehelosigkeit oder am Verheiratetsein. Die Göttlichkeit Jesu wurde erst nach seinem Tod offenbar, als die Jünger erlebt haben, dass sein Leben mit dem Tod nicht zu Ende war. Es ist unverkennbar, dass Jesus ungeheuer kontakt-stark war. Dass er zwischenmenschlich äußerst kompetent war, zeigt sich auch an den Heilungsgeschichten. Aufgrund psychoso-matischer Erkenntnisse halten wir diese heute eher für historisch als vor hundert Jahren.

 

Welche Bedeutung hat Jesus für den Glauben

 

SPIEGEL ONLINE: Welche Bedeutung hat der historische Jesus für den Glauben?

 

Die Gottesbilder der Antike wurden zu Fall gebracht, nämlich dadurch dass ein Gott sterblich sein kann, die Auferstehung aber der Sieg über den Tod war. Dies war eine eine ungeheurere Provokation

 

Kähler: Dass er gelebt hat und dass er die tiefste Niederlage erlitten hat, die man erleiden kann, nämlich den Sklaventod, das ist unverzichtbar. Der eigentliche Kampf seit dem Ende des ersten Jahrhunderts nach Christus tobte um die Frage, ob der Mensch, der elend zu Tode gequält wurde - der historische Jesus also - göttlich sein kann. Damit wurden die gängigen Gottesbilder der Römer und Griechen zu Fall gebracht. Dass ein Gott sterblich und besiegbar sein soll, war eine ungeheure Provokation.

 

Sehen Sie die Auferstehung als historisches Datum?

 

SPIEGEL ONLINE: Sehen Sie auch die Auferstehung als ein historisches Datum?

 

Die Auferstehung in einer ganz anderen seelischen Existenzweise

 

Kähler: Es kommt darauf an, wie man historisches Datum definiert. Wenn ich grundsätzlich nur als historisch ansehe, was reproduzierbar ist, dann kann die Auferstehung per definitionem kein historisches Faktum sein. Historisch gesichert ist jedoch, dass eine Menge Leute entgegen ihrer bisherigen Gestimmtheit ein überwältigendes Erlebnis gehabt haben, von dem her sie meinten, dass Jesus in anderer Weise - nicht als wiederbelebter Körper, sondern in einer ganz anderen Existenzweise - bei Gott lebt und Leben auf Erden bestimmen kann.

 

Lässt sich die Geschichte Jesu überhaupt rekonstruieren?

 

SPIEGEL ONLINE: Die biblischen Texte wurden Jahrzehnte nach Jesu Tod verfasst. Sie sind vor allem an einer theologischen Interpretation seines Lebens interessiert und nur bedingt histo-risch zuverlässig. Lässt sich die Geschichte Jesu überhaupt rekonstruieren?

 

Von Jesus weiß die Geschichte mehr als von jedem anderen Religionsstifter zu berichten, obschon seine Herkunft keine gute PR gewesen war, lässt sich historisch beweisen, dass er hohe Ansprüche gestellt hat

 

Kähler: Wir wissen von Jesus historisch eine ganze Menge, bedeutend mehr jedenfalls als von Zarathustra oder von Buddha. Der Kreuzestod, seine Schülerschaft bei Johannes dem Täufer oder seine Herkunft aus dem Nest Nazareth sind sicher nicht erfunden, denn das wäre keine gute PR gewesen. Historisch belegen lässt sich auch, dass Jesus einen sehr hohen Anspruch gestellt hat.

 

Welche Ansprüche?

 

SPIEGEL ONLINE: Worin besteht dieser Anspruch?

 

Er hat Dinge getan, die eigentlich nur Gott zustehen

 

Kähler: Sein Anspruch war, an Gottes Stelle und für Gott zu reden. Urteile zu fällen, die eigentlich nur Gott zustehen.

 

Ein Übersetzungsfehler „Jungfrau“ und junge Frau finden schwer Eingang in die Lehre der Kirche?

 

SPIEGEL ONLINE: Warum finden wissenschaftlich-historische Erkenntnisse - etwa die falsche Interpretation der Jungfräulichkeit Mariens, deren Tradition auf einen Überset-zungsfehler (Jungfrau statt junge Frau) zurückgeht - oft nur schwer Eingang in Lehre und Verkündigung der Kirche?

 

Dies wird oft kontrovers diskutiert. Es geht nicht um biologische Vorgänge, sondern um theologische. Sie soll ein Hinweis auf die Weltbedeutung Jesu sein

 

Kähler: Wenn ich predige, halte ich keine Vorlesung. In Semina-ren wird jedoch häufig kontrovers diskutiert. Zum Beispiel kommt es bei der Jungfrauengeburt auf die Interpretation an. Es sollte dabei nicht um eine biologische Aussage gehen, sondern um eine theologische. Sie ist im Kontext anderer Geburts-geschichten von Göttern, Königen und Kaisern zu sehen. Sie will ein Hinweis auf die Weltbedeutung Jesu sein.

 

Die Volksfrömmigkeit sieht dies anders, oder?

 

SPIEGEL ONLINE: In die katholisch-christliche Volksfröm-migkeit scheint diese Erkenntnis noch nicht eingedrungen zu sein.

 

Bei der jungfräulichen Geburt geht es nicht nur um Biologie

 

Kähler: Kein ernstzunehmender katholischer Theologe wird behaupten, dass es bei der Jungfrauengeburt nur um die Biologie geht. Er wird vielmehr vom Geheimnis des Glaubens reden. Man muss dazu nüchtern feststellen: Die historisch-kritische Theologie bzw. die Leben-Jesu-Forschung ist vor allem in der evangelischen Theologie entwickelt worden. Es hat einige Mühe gekostet, dieses so beizubehalten, dass jeder unserer Pfarrer durch diese Ausbildung und die wissenschaftliche Auseinander-setzung mit den Fakten gehen muss. Es ist der Versuch, intellektuell redlich zu bleiben.

 

Browns Erfolg fußt nicht zuletzt darauf, dass die Kirche gerade nicht redlich sei

 

SPIEGEL ONLINE: Browns Erfolg basiert darauf, dass er unterstellt, die katholische Kirche habe etwas zu verheimlichen, sie sei gerade nicht redlich.

 

Brown hat ein Elixier gemischt von Sex, Crime und Verschwörungstheorie

 

Kähler: Brown hat die klassischen Ingredienzien zusam-mengebracht: Sex and Crime und Verschwörungstheorien. Die schlimmsten Verschwörungstheorien haben zu Judenhass und Judenmord beigetragen. Jeder von uns weiß, dass etwa die „Protokolle der Weisen von Zion“ ein übles, erfundenes Machwerk sind. Wir können genau nachweisen, wie dieser schlimme, schreckliche Text entstanden ist. Dennoch gibt es immer wieder Leute, die ihn für wahr halten. Brown benutzt Bücher von Baigent und Leigh. Obwohl man auch da nachweisen kann, dass die Autoren keine Ahnung von der Mate-rie haben, glauben ihnen viele Menschen.

 

Warum gelingt es der Kirche nicht in ähnlich erfolgreicher Manier zur Diskussion zu bringen wie Brown in seinen Werken?

 

SPIEGEL ONLINE: Warum gelingt es der Kirche nicht, die christliche Botschaft in ähnlich erfolgreicher Manier in die öffentliche Diskussion zu bringen, wie Brown dies mit seinen kruden, historisch nicht belegbaren Theorien um Jesus und die Kirche gelingt?

 

Wir zielen nicht auf den kurzzeitigen Erfolg ab wie Brown. In 25 Jahren wird sich keiner mehr an ihn in dieser Weise erinnern (Bemerkung der Redaktion von kreativMedia – das wäre dann 2031)

 

Kähler: Weil wir nicht auf den Kurzzeiterfolg wie Brown zielen. Sollten wir in 25 Jahren noch einmal über Dan Brown reden, dann wird sich vermutlich niemand mehr an ihn erinnern. Die Kirche aber wird dann noch immer eine wichtige Rolle spielen. Erfolg als solcher ist keine Glaubenskategorie, und Glaube an Jesus als Verkörperung Gottes muss keinen Unterhaltungswert haben. Wir wollen Menschen helfen zu leben. Wir wollen zeigen, worauf sie ihr Leben wirklich ausrichten können.

 

Das Interview führte Alexander Schwabe 2006

© Spiegel Online, Alexander Schwabe, Zwischentitel km 2022